Wie viel Geschichte braucht ein historischer Roman?

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Ein historischer Roman kann vieles sein: eine Liebesgeschichte, ein Thriller, eine Biografie … Es gibt nicht den historischen Roman, er gehört immer auch noch einem anderen Genre an. Was ihn dann „historisch“ macht, ist nicht nur, dass er in der Vergangenheit spielt – sondern dass diese Vergangenheit selbst zum Thema wird. Und zwar eine richtig vergangene Vergangenheit.

Sorry, aber ein Roman, der in den 1960ern spielt, ist für mich kein historischer Roman, sondern ein zeitgenössischer. Schließlich gibt es noch LeserInnen, die diese Zeit miterlebt haben – das ist für mich ein entscheidender Unterschied. Aber ich schweife ab.

Ein historischer Roman spielt also vor historischer Kulisse. Wie stark diese Kulisse ins Gewicht fällt, ist ganz unterschiedlich: Manchmal ist sie nur ein vager Hintergrund, beliebig austauschbar. Und manchmal ist sie so zentral, dass die Geschichte ohne sie nicht funktionieren würde – weil z. B. wichtige historische Persönlichkeiten oder bekannte Ereignisse eingebunden sind.

Ich habe in der Vergangenheit beides ausprobiert: Ich habe mich an historische Persönlichkeiten geklammert (Dietrich von Quitzow, Jakobäa von Bayern) oder an Ereignisse wie den Verrat an der Stadt Dortmund oder die Ermordung der Agnes Bernauer. Beides setzt voraus, dass man gewissenhaft recherchiert – also nicht nur die Figur oder das Ereignis an sich, sondern auch die Umstände davor und die Folgen danach. Dazu kommen Zeitgeist, Normen, gesellschaftliche Erwartungen und – ganz wichtig – eine Zeitschiene, entlang der sich die Geschichte entfalten kann.

Für mich ist genau das einer der schwierigsten Aspekte beim Schreiben eines historischen Romans, wenn man die Historie einigermaßen ernst nehmen will. Denn: Das echte Leben folgt keinem romantischen Spannungsbogen. Es gibt Pausen, Rückschritte, seltsame Nebenstränge. Viele AutorInnen greifen deshalb zu künstlerischer Freiheit: Sie rücken die Zeitleiste gerade oder erfinden Dinge dazu, damit die Geschichte „runder“ wird. Dagegen ist aus meiner Sicht nichts einzuwenden – solange das im Nachwort offengelegt wird. Denn ich glaube, die meisten LeserInnen historischer Romane möchten nicht nur abtauchen, sondern auch etwas lernen. Wenn ihnen dabei falsche Fakten untergejubelt werden, ist niemandem geholfen.

Ich persönlich versuche, dieses Zurechtbiegen so weit wie möglich zu vermeiden. Das hat allerdings zur Folge, dass meine Geschichten manchmal als sperrig wahrgenommen werden. Ist das gut? Sollte ich dazu stehen? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Ich lerne ja noch.

Im Fall der „Jakobäa“ bekam ich z. B. die Rückmeldung einer Leserin, die Figur sei ja unerträglich – sie halte sich für großartig und scheitere doch ständig. Ja, genau so war es. Hätte ich sie zur Heldin in goldener Rüstung machen können? Natürlich. Aber das hätte meiner Vorstellung nicht entsprochen. Aber ich schweife schon wieder ab.

Zurück zur Planung: Es ist keine gute Idee, einfach nur die Historie nachzuerzählen. Das ergibt schnell Längen, Brüche, irrelevante Passagen – also alles, was in einem Roman nichts zu suchen hat. Deshalb nehme ich mir nach der historischen Zeitleiste einen Spannungsbogen zur Hand. Einer, der Wendepunkte kennt, Höhepunkte, Entwicklungen. Es gibt verschiedene Methoden (für alle, die – wie ich – nicht aus dem Bauch schreiben). Mein Favorit ist „Save the Cat“. Das Konzept stammt ursprünglich aus dem Drehbuchbereich, funktioniert aber wunderbar auch für Romane. Es sorgt dafür, dass die Szene gut gesetzt wird, dass der Protagonist Erfahrungen sammelt und sich entwickelt – und dass das Finale sich organisch aus der Handlung ergibt.

Natürlich wäre alles einfacher, wenn ich die historischen Fakten außen vor lassen könnte. Aber das Leben wäre ja langweilig ohne solche Herausforderungen.

Früher war für mich der historische Stoff der Ausgangspunkt. Die Figur, das Ereignis – daraus wuchs dann der Roman. Heute bin ich mir nicht mehr sicher, ob das immer der richtige Ansatz ist. Ich weiß, einige LeserInnen schätzen meine Bücher genau deshalb. Aber dieser Anspruch macht es eben auch schwer, eine „rundere“, zugänglichere Geschichte zu schreiben. Kommerziell funktioniert das einfach anders.

Und das gehört zum Schreiben dazu: Man kommt nie irgendwo an. Man entwickelt sich, fasst neue Pläne, probiert Ideen aus – und ändert auch mal die Meinung. Mein neues Projekt zum Beispiel spielt eher vor historischer Kulisse, statt sich sklavisch an einen konkreten Ablauf zu halten. Und ich muss sagen: Diese Freiheit hat richtig gutgetan. Das Schreiben hat Spaß gemacht – und wenn jetzt auch noch positives Feedback zurückkommt, weiß ich: Ich bin auf einem guten Weg.

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