So, jetzt kommt aber endlich Skara Brae an die Reihe!
Dachten wir. War aber dann nicht so. Aber ich erzähle mal von vorn.
Da wir auf Orkney selbst kein Zimmer gefunden hatten, entschlossen wir uns zu einem Tagesausflug mit der Autofähre. Frühmorgens ging es los, wir fuhren von Thurso zum nahegelegenen Fährhafen, reihten uns ein, fuhren in den Bauch des Schiffes und stürmten die VIP-Lounge, die wir extra gebucht hatten, um eine gemütliche Überfahrt zu genießen.
Wir waren die ersten Gäste und bekamen sofort ein Ei-und-Bacon-Sandwich und einen Kaffee geliefert. So ausgestattet suchten wir uns die besten Plätze direkt am Fenster und genossen die Fährfahrt. Nebenher blätterte ich in diesem bezaubernden Büchlein: Hamish the Hairy Haggis.
Alles war prima, bis mein Mann mein Lesevergnügen störte mit folgender Frage: „Hätten wir vielleicht den Eintritt vorher buchen sollen? Es ist ja sonst auch immer alles ausgebucht.“ Ich schluckte und klappte das Büchlein zu. Shit.
Eine schnelle Internetrecherche bestätigte meine schlimmsten Befürchtungen. Skara Brae, mein absolutes Traumziel, wahnsinnig schwer und mühselig zu erreichen und endlich, endlich so unfassbar nah! – war ausgebucht. Panisch gingen wir alle Optionen durch, überlegten sogar, ob wir Mitglieder des Fördervereins werden sollten, ob es Jahrestickets gab, Sonderaktionen, Führungen, irgendwas. Doch nein, da war nichts zu machen.
Betröppelt schaute ich aus dem Fenster, während mein Mann weiter nach Lösungen suchte. Da machte man den weiten Weg auf die Insel, und dann kam man nicht in die Attraktion, wegen der man überhaupt dort hoch fahren wollte. Sicher, Orkney hat noch mehr zu bieten als Skara Brae. Aber das war eben mein Traum gewesen.
Schließlich beschlossen wir, noch eine weitere Überfahrt einzuplanen. Für den übernächsten Tag waren noch Plätze auf der Fähre frei, für uns, aber nicht fürs Auto. Macht nichts, sagten wir uns. Orkney hat öffentliche Verkehrsmittel. Wir kriegen das schon hin. Also buchten wir eine zweite Überfahrt und natürlich auch die Eintrittskarten für Skara Brae an jenem Tag. Wir sind ja schließlich nicht völlig bescheuert.
Wir gehörten zu den Ersten, die vom Schiff waren, und fuhren wie die Besessenen trotzdem nach Skara Brae. Vielleicht gab es ja doch eine Möglichkeit, und dann hätten wir alle gebuchten Tickets storniert. Doch nein, eine nette Dame am Parkplatz fing uns sogleich ab und erklärte uns, dass wir ohne Ticket noch nicht einmal den Parkplatz befahren dürften. Sie hatte aber einen hammerharten Tipp für uns: das Ness of Brodgar.
Sie erklärte uns, dass dort aktiv gegraben würde, und dass Besucher sehr willkommen seien. Nicht nur das: Es gäbe sogar kostenlose Führungen.
Ein wenig zerknirscht wendeten wir also das Auto und fuhren zur neuen Location. Und was soll ich sagen? Im Nachhinein betrachtet kann ich bestätigten, dass es tausendmal besser dort war als in Skara Brae.
Ness of Brogdar
Das Ness ist eine Art Landzunge zwischen zwei Seen. Bekannt waren schon seit längerem ein paar Standing Stones und ein Steinkreis in unmittelbarer Nähe, doch erst spät kam man auf den Gedanken, dass man diese beiden Punkte über die Landzunge hinweg miteinander verbinden kann und dass man in der Mitte vielleicht weitere Reste einer Zivilisation finden könnte.
In der Tat ist die gesamte Gegend um die 5000 Jahre alt, was einfach unglaublich erscheint. Das Gelände ist so groß wie fünf Fußballfelder und wurde erst 2002 entdeckt. 2004 begann man mit den Ausgrabungen – jedoch immer nur in den Sommermonaten. Danach wurden die Steine wieder zugedeckt, um sie nicht unnötig den Elementen auszusetzen. 2024 sollte der letzte Sommer sein, an dem gegraben wird. Wir waren genau in der allerletzten Woche überhaupt live mit dabei.
Während um uns herum die Studenten und Wissenschaftler fleißig gruben (und immer wieder Fundstücke in Tüten steckten und dokumentierten), nahmen wir an einer spannenden Führung teil.
Man erklärte uns, dass die Gebäude vor uns erstaunlich schlampig erbaut wurden, so als hätte man nicht für die Ewigkeit geplant. Man hatte eine Art Festhalle mit Feuerstellen freigelegt, und diverse andere Strukturen, die wahrscheinlich Unterkünfte waren. Die Gebäude stammten aus verschiedenen Epochen und waren übereinander gebaut, was die Ausgrabung besonders komplex macht.
Es war interessant zu hören, was die Wissenschaftler aus den Funden herauslesen können und was an Fragen noch alles offen war. Auch dass Theorien ganz schnell wieder über den Haufen geworfen wurden. Zum Beispiel ist das Gelände von einer starken Mauer umfasst gewesen, die aber nicht geschlossen gewesen schien. Man nahm an, sie sollte nur für Prunk und Pracht dort stehen. Aber dann, erst zwei Tage zuvor, hatte das Team neue Fundamente entdeckt – die Mauer ging noch weiter! Das ließ nun doch die Annahme zu, dass die Mauer zu Schutzzwecken gebaut worden war. Doch leider, leider werden wir das Rätsel bis auf absehbare Zeit nicht gelöst bekommen, denn nun liegt alles wieder unter Erde und kann nicht weiter untersucht werden. Als wir dort waren, gruben sie aber noch hektisch so viel wie möglich aus.
Ebenfalls bemerkenswert war ein anderes Gebäude, das – im Gegensatz zu den Haufen daneben – sehr ordentlich und sauber konstruiert worden war, mit messerscharf abgeschnittenen Mauerkanten. Es war noch dazu sauber und wies keine Aschespuren auf, so als hätte sich jemand darum gekümmert. Ein religiöses Gebäude, das vielleicht immer bewohnt war, wohingegen die Gebäude in der Nähe nur für Stammessitzungen oder Festtage bezogen wurden? Für politische Abstimmungen oder für gewisse Rituale? Immerhin befanden wir uns zwischen Steinkreis und Standing Stones. Fragen über Fragen!
Ich war auf jeden Fall völlig aus dem Häuschen, je mehr ich über diese Gegend erfuhr. Wie überaus spannend, sich vorzustellen, wie Generationen von Menschen hier gelebt haben müssen! Natürlich habe ich den Grabungsshop halb leer gekauft für meine private Bibliothek. Wer weiß, vielleicht entsteht daraus eines Tages ein Roman?
Im Anschluss fuhren wir einige Meter weiter zu den Standing Stones. Wirklich magisch, wie diese hohen Steine sich unter dem weitem Himmel in die Höhe recken.
Puffins
Ein weiteres Highlight des schottischen Nordens sind die Puffins, also die Papageientaucher. Diese putzigen Seevögel sehen einfach zu drollig aus, und ich wollte gern ein paar davon in ihrer natürlichen Umgebung sehen. Wir ergoogelten also ein paar Plätze, wo wir uns Chancen ausrechneten, und fuhren dorthin.
Der eine Ort, den wir besuchten, lag ganz im Nordosten der Insel und hieß Birsay (wo übrigens die faszinierende Ruine eines Bischofspalasts steht). Birsay vorgelagert ist eine Insel mit Leuchtturm, die man aber nur bei Ebbe besichtigen kann. Als wir da waren, war der Weg leider unter Wasser, aber es war schon kurios, das Zickzack unter der Wasseroberfläche durchschimmern zu sehen. Echt verlockend, einfach loszulaufen.
Puffins sahen wir keine, also fuhren wir weiter die Küste ab. Die steilen Klippen waren überall wunderschön anzuschauen, aber mehr als Möwen bekamen wir nicht zu Gesicht. Wie wir später erfuhren, hat das saisonale Gründe; wir waren einfach zur falschen Jahreszeit da. Aber immerhin haben wir es versucht!
Ring of Brodgar
Auf dem Rückweg machten wir noch am Steinkreis halt.
Ich, die ich aus Versehen mal Stonehenge gegatecrashed habe, kann bestätigen, er ist riesig! Besonders schön fand ich auch, wie die violetten Heidepflanzen das ganze Ensemble umrahmten.
Natürlich ist das ein sehr gefährdeter Ort, mehr noch mit dem Klimawandel, der für heftigere Regenfälle sorgt. Deshalb ist es ja eigentlich auch total verständlich, dass man auf dem Weg bleiben sollte. Aber offensichtlich ist es nicht für alle verständlich. Ich muss sagen, ich flippe selten aus, aber als ich zwei kichernde Zwanzigjährige gesehen habe, die sich direkt hinter einem der Steine vor den Rangers versteckt haben (mit violetten Schultertüchern, als gehe ich mal davon aus, dass sie Instagram-Fotos machen wollten), da ist mir absolut der Kragen geplatzt. Mit wüsten Beschimpfungen habe ich die kichernden Mädels zurückgepfiffen. Sie sind dann auch schnell gegangen, was wahrscheinlich ihr Glück war, denn ich hätte für nichts mehr garantieren können.
Der Ring of Brogdar zählt zum UNESCO Weltkulturerbe, und ich finde es wichtig, dass auch meine Kinder eines Tages einmal diese Schönheit erleben können, so sie denn wollen. Ich kann nicht nachvollziehen, wie man das für Instagram oder TikTok aufs Spiel setzen kann.
So endete also unser Tag auf Orkney. Zum Abschied winkten wir von der VIP-Lounge aus dem Old Man of Hoy.
Traurig waren wir nicht, denn wir wussten, wir würden bald wiederkommen.