Letztens fiel mir wieder ein Zeichentrickfilm ein, den ich in meiner Kindheit wohl hundertmal gesehen habe. (Wir hatten damals zwei Videorekorder und haben die guten Filme aus der Videothek für uns kopiert. Heute nennt man das wohl „Raubkopien erstellen“. Ups.)
Es geht um eine kleine Mäusemutter. Moment, nicht lachen – bleibt dran! Mrs. Brisby, kürzlich verwitwet, muss allein für ihre vier Kinder sorgen. Ihr Sohn Timothy ist schwer krank, und als wäre das nicht schlimm genug, steht der jährliche Umzug an: Der Bauer wird das Feld pflügen, in dem sie wohnen. Verzweifelt sucht sie Hilfe und bekommt einen Tipp. Sie soll mit der großen Eule sprechen. Gruselig! Denn – das weiß jeder – Eulen fressen Mäuse. Doch Mrs. Brisby überwindet ihre Angst, weil sie ihre Familie liebt und retten will.
Und hier kommt der Punkt, auf den ich hinauswill: Zeichentrickfilme damals waren eine völlig andere Nummer als heute. Die Eule wohnt in einer finsteren Höhle, voller Knochen und riesiger Spinnen. Und als sie sich umdreht – WHAM! Ihre Augen leuchten im Dunkeln! Holy Shit, das ist für eine Fünfjährige absolut grenzwertig. Aber genau das machte den Reiz aus: Die Furcht, die Spannung, die Dramatik. Man konnte nicht wegsehen, man MUSSTE wissen, wie es weitergeht.
Mrs. Brisby überlebt das Treffen mit der Eule und wird zu den Ratten von Nimh geschickt, die schlauer sind als gewöhnlich – denn sie sind Laborratten, die aus einem Forschungsinstitut geflohen sind. Mehr will ich nicht verraten, aber falls ihr den Film nicht kennt: „Mrs. Brisby und das Geheimnis von Nimh“ ist ein Meisterwerk, das einen für immer prägt.
Und das bringt mich zu einem anderen Klassiker: Das letzte Einhorn.
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Ehepaar, das wir letztes Jahr auf einer Reise kennenlernten. Wir unterhielten uns über das nächste Reiseziel des Paares, New York, und sie baten um Tipps für Sehenswürdigkeiten. Da erwähnte ich die dort ausgestellten Einhorn-Wandteppiche, die auch in den Eingangsszenen des Films zu sehen sind – und die ich UNBEDINGT mal mit eigenen Augen sehen will. Die Frau verdrehte, für mich völlig überraschend, die Augen: „Dieser kitschige Film?“
Excuse me? Kitschig?! Habe ich da was verpasst?
„Sie verschwanden vor langer Zeit von allen Straßen, und der rote Stier jagte dicht hinter ihnen und verwischte ihre Spuren…“ Wieder so eine Geschichte, die tausende Kinder traumatisiert haben dürfte. Aber bitte, kitschig.
Das letzte Einhorn zählt zu den besten Drehbüchern, die ich kenne. Viele der Sprüche und Dialoge klingen bis heute in mir nach. Selbst 40 Jahre später passiert es mir, dass ich auf einem Hotelbalkon stehe, auf den Ozean blicke und in meinem Kopf König Haggard sagen höre: „Ach ja, das Meer … ist immer gut.“
Aber am meisten trifft mich das Ende. Obwohl ich es in- und auswendig kenne, packt es mich immer wieder. Denn ja, die Einhörner werden befreit, aber unser Einhorn erleidet dafür einen massiven Verlust. „Sie wird sich an dein Herz erinnern, wenn Menschen Märchen sind, in Büchern geschrieben von Kaninchen.“ Und genau das macht es so tragisch-schön: Das Einhorn ist für immer zwischen zwei Welten gefangen, nicht mehr ganz Einhorn, nicht ganz menschlich. Ihr Opfer ist unendlich. Diese Erkenntnis trifft mich jedes Mal mitten ins Herz.
Und genau DAS liebe ich an diesen alten Zeichentrickfilmen: Sie schenken uns kein rundum glückliches und weichgespültes Ende, sondern lassen uns mit Narben zurück.
Molly Grue: „Und wenn es kein glückliches Ende gibt?“
Schmendrick: „Es gibt nie ein glückliches Ende, denn es endet nichts.“
Kennt ihr solche Geschichten, die euch emotional für immer begleiten? Erzählt mir davon in den Kommentaren!
P.S.: Ich habe das Buch zum Film gelesen. Und, ganz ehrlich? Der Film ist besser. Sorry, not sorry.