Leseprobe

Das Vermächtnis der Agnes Bernauer

von Silke Elzner

Straubing, Oktober 1435

Zitternd stand Agnes auf der Brüstung der äußeren Donaubrücke. Hände und Füße waren mit Lederschnüren gefesselt, eine Binde nahm ihr die Sicht. Die Haut an Hals und Armen war verschmutzt, die langen goldenen Haare strähnig, das Gesicht bleich. Ein eisiger Wind zerrte an ihrem dünnen Leinenhemd und ließ es wie ein Segel flattern.
Es war Absicht, dass man sie so unschicklich bekleidet aufgestellt hatte. Niemand sollte auf den Gedanken kommen, eine Herzogin erwarte hier ihre Hinrichtung.
Wenigstens, so dachte sie bei sich, hat es aufgehört zu regnen.
»Stoßt das Weib, stoßt es! Lasst die Hure schwimmen!«, verlangten Dutzende Stimmen am Ufer im Chor. Es waren die Bürger der Stadt, die Bauern vom Feld, das Gesinde aus dem Schloss. Sie alle waren gekommen, um sie ein letztes Mal zu sehen. Gewiss waren die Schöffen ebenfalls hier mit ihr auf der Brücke. Sie kannte viele beim Namen, hatte oft mit ihnen an derselben Tafel gespeist. Erbhofmarschall Degenberg. Geheimschreiber Aichstetter …
Sie stellte sich vor, wie diese Männer sich hinter ihr aufgereiht hatten, die Arme vor der Brust gekreuzt, um den Oktoberwind aus den Mänteln zu halten, die Mienen grimmig. Gewiss konnten sie es kaum erwarten, für einen Würzwein in die geheizte Halle zurückzukehren. Und zweifellos, so schloss sie, war auch der Mann anwesend, der über sie gerichtet hatte. Ihr Schwiegervater, Herzog Ernst von Bayern-München.
»Agnes«, sprach der Pfarrer sie an. »Es ist entschieden. Du wirst nun der Donau überantwortet. Dein Hab und Gut fällt an das Herzogtum.« Lauter fügte er hinzu: »Das ist Gottes Wille, und das ist unsere Rechtsprechung. Nimmst du, Agnes, diese Strafe für deine Vergehen  an?«
»Ja«, flüsterte sie.
Der Scharfrichter verdrehte ihr schmerzhaft die Hände. »Lauter!«
»Ja!«, schrie sie aus voller Lunge. »Ja, beim Herrgott! Ich nehme sie an!«
Der Pfarrer wandte sich an die Gemeinde. »Liebe Leute von Straubing, die ihr euch hier versammelt habt. Lasst euch dies eine Warnung sein. Handelt gottgefällig und fromm, und maßt euch niemals an, etwas anzustreben, das euch nicht zusteht. Und nun, lasset uns beten.«
Lustlos leierte er die lateinischen Worte herunter und schloss mit »… in nomine patris, et filii, et spiritus sancti«.
Vom Ufer ertönte folgsam ein Amen.
»Amen«, flüsterte auch Agnes. Das Gebet hatte ihr nur wenig Trost geschenkt.
Kiesel knirschten. Das Geräusch wurde leiser. Der Pfarrer war gegangen.
»Vergibst du mir?«, fragte der Scharfrichter.
»Ja-ja, ich v-vergebe dir.« Sie war so durchgefroren, dass die Worte stoßweise kamen.
»Gott sei deiner Seele gnädig.«
Ihre Gedanken wanderten zu Albrecht. Sie ahnte, er würde untröstlich sein, wenn er hiervon erfuhr. Und das war es, was ihr am meisten zu schaffen machte. Nicht, dass ihr Leben in wenigen Augenblicken vorbei sein würde. Nicht, dass sie einen unwürdigen Verrätertod in der Donau haben würde. Nicht, dass sie sterben würde, ohne die Gelegenheit gehabt zu haben, selbst Leben zu geben. Nein, was sie vor allem aufwühlte, war die Sorge, dass Albrecht ohne sie verloren wäre.
Der Scharfrichter ließ sich Zeit. Trügerische Hoffnung machte sich in ihr breit. Vielleicht war ihr das Glück doch hold? Sie stellte sich vor, wie man gerade hinter ihrem Rücken stumme Botschaften austauschte, ob das Urteil wirklich vollstreckt werden sollte. Ein Schauspiel, ein grausamer Streich, ersonnen, um sie in ein Kloster zu treiben und Albrecht freizugeben. Niemand konnte ernsthaft die Absicht verfolgen, sie ihrer Liebe wegen zu töten. Selbst ihrem gestrengen Schwiegervater war es kaum zuzutrauen.
Der Stoß traf ihren Rücken jäh. Sie schrie auf und fiel nach vorn. Die gnadenlose Eisenfaust der Donau schlug ihr mitten ins Gesicht. Sprudelnd und eiskalt zerrte das Wasser an ihren Haaren, an ihrem Gewand. Sie wollte schreien, doch sie schluckte nur fischiges Nass.
Sie strampelte wie wild, eine der Fesseln an den Füßen löste sich. Ihr entwich ein überraschtes Lachen. Der Scharfrichter hatte gepfuscht! Ihr Scheitel durchstieß die Oberfläche. Blind schrie sie: »Helft! Helft! Helft!«
Noch ein Tritt nach vorn, und ein weiterer. Sie ignorierte die Kälte, vergaß den Schmerz. Sie war nicht bereit zu sterben. Nicht hier, nicht heute. Sie musste leben, für Albrecht! Die Erkenntnis traf sie mit schmerzhafter Heftigkeit.
Kiesel aus dem Flussbett wirbelten vor ihr auf und spülten in ihren Mund. Algen umschmeichelten ihre Stirn, streichelten über ihre Knie. Beinah hatte sie es geschafft. Das Ufer war gleich erreicht.
Sie holte Luft, ein letztes Mal.

Eine tragische Liebe im Mittelalter

Das Vermächtnis der Agnes Bernauer

Anno 1428: Auf dem Augsburger Faschingsturnier lernt Prinz Albrecht III. die lebensfrohe Agnes Bernauer kennen. Verzaubert von ihrer außergewöhnlichen Schönheit nimmt er die Baderstochter mit nach München.
Albrechts Vater ist die nicht standesgemäße Liebschaft seines Sohnes ein Dorn im Auge, denn Albrecht weigert sich, eine adlige Braut zu nehmen. Die Zukunft des Herzogtums ist in Gefahr.
Als sich die Konflikte zwischen Vater und Sohn zuspitzen und Albrecht seine Agnes heimlich heiratet, nimmt das Schicksal seinen Lauf.

Erzählt nach wahren Begebenheiten

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