Leseprobe

Der Schwur der Gräfin

von Silke Elzner

Quesnoy, Dezember 1415

Die Jagdhunde zogen an der Reitergruppe vorbei und stoben mit Getöse ins Unterholz. Es waren um die drei Dutzend stämmige, kleinwüchsige Tiere mit Schlappohren und borstigem Fell. Aufgeregt drückten sie die feuchten Nasen auf den winternackten Waldboden, die Ruten hin und her peitschend.

Es dauerte nur einen Augenblick, dann war die Fährte aufgenommen. Lautstarkes Gebell und Gekeife erhob sich aus dem Strauchwerk. Der Dachs musste noch vor wenigen Momenten hier gewesen sein, doch jetzt war er längst über alle Berge. Ein Jaulen löste das Bellen ab, der unbändige Jagdinstinkt der Meute war geweckt. Die Hunde huschten auf der anderen Seite wieder aus dem Gebüsch und preschten an den Leinen ihrer Führer nach vorn. Die Gruppe aus vierzig Jägern und ihren Bediensteten setzte auf Pferden hinterher.

Jakobäa liebte die Jagd. Wann immer möglich, schloss sie sich den Gesellschaften an. Auch diesem Ausflug hatte sie tagelang entgegengefiebert. Gerade im Winter war es eine willkommene Abwechslung zu den langen Stunden vor dem prasselnden Feuer in der Stube, wo es nicht viel mehr zu tun gab, als zu musizieren, Schach zu spielen oder zu sticken. Der Ritt über Stock und Stein in Eiseskälte machte ihr nichts aus. Sie saß fest im Sattel, elegant gekleidet in einem pelzverbrämten Mantel. Die Finger wärmte ein Paar weicher Kalbslederhandschuhe, die Haare waren kunstvoll aufgetürmt und unter einer modischen Hörnerhaube versteckt.

Die dichten Wälder des Hennegaus, ihrer Heimat, waren perfekt für Pirsch, Ansitz und Beize. Die Römer hatten das Gebiet Kohlenwälder genannt, so undurchdringlich und schwer zugänglich, wie es war. Dies war ein Land der sprudelnden Bäche und sanften Höhen, auf deren Kuppen die Adelsgeschlechter trotzige Burgen errichtet hatten, von denen aus man weit übers Land blicken konnte. Von allen ihren Grafschaften war Jakobäa der Hennegau die Liebste. Hier war die Landschaft so ganz anders als die der Sandinseln Zeelands, der Salzwiesen Frieslands und der stürmischen Küsten Hollands.

Ja, sie liebte die Streifzüge durch diese wilde und unübersichtliche Landschaft, doch Jagd war nicht gleich Jagd. Wo Jakobäa den eleganten Flug des Falken bevorzugte, der sich aus luftiger Höhe mit der Anmut eines Königs auf einen Reiher oder ein Kaninchen stürzte, liebte ihr Gemahl Jean das Graben nach dem Dachs. Deshalb ließ sie sich ohne großes Bedauern zurückfallen und überließ ihm und seinen Freunden den Vortritt.

In seiner Aufregung hatte Jean nur noch Augen für die Beute. Die ungestümen Herren, die ihn begleiteten und wie Trauben den Rebstock umschlossen, feuerten sich gegenseitig an, lachend und grölend.

Seit einem halben Jahr nun war Jakobäa verheiratet, obwohl sie erst vierzehn war und Jean siebzehn. Ihre Eltern hatten es für unerlässlich erachtet, die Tochter so früh wie möglich unter die Haube zu bringen. Dabei kannte Jakobäa Jean schon viel länger. Als sie fünf gewesen war, war sich das junge Paar das erste Mal begegnet, damals in Compiègne. Sie konnte sich noch gut an jenen Tag erinnern. Vielleicht, weil sie sich so gefürchtet hatte.

Wie bei allen Adligen war auch diese Verlobung eine politische Entscheidung gewesen. Jean war der zweitälteste Sohn des Königs von Frankreich. Jakobäas Eltern hatten sich durch die Verbindung ein stärkeres Bündnis ihrer vier Grafschaften in den niederen Landen mit dem mächtigen Nachbarn im Westen erhofft. Die französische Königin Isabeau, wie Jakobäa eine Wittelsbacherin und somit eine entfernte Verwandte, war damals persönlich mit dem Bruder des Königs, dem Herzog von Orléans, nach Compiègne gereist. Hier waren sie im Schloss von Jakobäas Familie bereits erwartet worden.

Das Treffen war von Prunk und Pracht begleitet worden. Als einziges Kind des Grafen von Holland war Jakobäas Verlobung in das französische Königshaus ein Meilenstein ihrer Familiengeschichte, ein einzigartiger Triumph. Sie konnte sich noch lebhaft daran erinnern, wie ihre Mutter sie an der Hand in den geschmückten Saal geführt und ihr mit kräftigem Händedruck zu verstehen gegeben hatte, dass sie nicht zappeln dürfe, niemals, selbst dann nicht, wenn ihr die Nase kitzelte. Und das tat sie viel, denn die Königin von Frankreich machte ausgiebig von Duftwässerchen und Puder Gebrauch. Nie würde Jakobäa den kritischen Blick vergessen, mit dem Isabeau sie bedachte, wie sie in Richtung ihrer Damen murmelte »Nun, ich schätze, mehr braucht es nicht«, und das Gefühl, wie ein Lamm einem Rudel Wölfe vorgeführt zu werden. 

Der kleine Junge, der sich hinter der Königin aufgestellt hatte, musterte Jakobäa mit wasserblauen Augen und trat dann selbstbewusst nach vorn, um ihre Hand zu erbitten. Der klammernde Griff der Mutter löste sich wie durch Zauberhand, und Jakobäa legte zaghaft ihre stummeligen Finger in seine schmalgliedrige Hand. Jean geleitete sie galant in eine Ecke des Saals zu einer Sammlung von Holzpferden. Nach und nach führte er ihr die Rösser mit all ihren Eigenheiten und Vorzügen vor und reichte sie ihr, damit sie sie ebenfalls in Ruhe betrachten konnte. Als er bemerkte, wie ihr Blick an einem weißen Pony mit Schweif aus echtem Pferdehaar hängen blieb, schenkte er es ihr, ohne zu zögern. Es war der Beginn einer kindlichen Freundschaft.

Die Erwachsenen verfolgten den Austausch stumm, die Gesichter unbewegt. Dann handelte man mit den Franzosen die Verlobung aus. Ein eigens angereister päpstlicher Legat segnete die Kinder eine Woche später in der Hofkapelle ein. Im Anschluss zog der siebenjährige Jean gleich mit Jakobäas Mutter nach Quesnoy in den Hennegau, um in der Obhut des Grafen zum Mann zu reifen.

In den folgenden Jahren waren sie wie Pech und Schwefel. Jean war der Spielkamerad, den Jakobäa bis dahin so schmerzlich vermisst hatte. Zu zweit machten sie die Schlösser ihres Vaters unsicher, rodelten im Winter über die Hänge des Hennegaus und tauschten in den Kronen der Bäume Geheimnisse aus.

Als Jean vierzehn wurde, veränderte sich jedoch etwas zwischen ihnen. Er begann, die Gesellschaft der jungen Ritter bei Hof zu bevorzugen. Vorbei die Zeiten, in denen er ihr heimlich harte Erbsen ins Kissen gesteckt, ihr einen neuen Wurf Katzen auf dem Heuboden gezeigt oder ein aus der Küche stibitztes süßes Gebäck zugeschoben hatte. Stattdessen blieb er nun nächtelang fort, tauschte mit Nicolás, François und Antoine Geheimnisse über die Mägde und die Mädchen aus dem Dorf aus und ließ sich zu immer irrwitzigeren Mutproben herausfordern. Die alte Freundschaft, die sie einst verbunden hatte, ging schleichend verloren.

Kein Wunder also, dass Jakobäa sich als Folge vor der Nacht im Brautbett so gefürchtet hatte! Jean war ihr gleichzeitig ein Bruder und ein Fremder. Die Vorstellung, ihm als seine Gemahlin begegnen zu müssen, hatte ihr eine Riesenangst eingejagt. Doch sie war sich bewusst, dass sie mit ihren Sorgen allein dastand. Ihre Mutter Margarete hätte kein Verständnis für ihre Nöte gehabt. Es war das Schicksal aller adligen Damen, eines Tages mit einem Mann verheiratet zu werden, den die Eltern für sie gewählt hatten. Nur selten spielte dabei gegenseitige Sympathie eine Rolle. Jakobäa wusste genau, was ihre Mutter ihr auf ihre Bedenken entgegnet hätte: »Sei froh, dass wir dich nicht einem fremden alten Kauz zur Frau geben!«

All das jedoch lag nun schon ein halbes Jahr zurück. Seit der Hochzeit mit Jean hatte sich nicht viel für Jakobäa verändert. Sie lebten weiterhin die meiste Zeit in ihrem Schloss in Quesnoy, sahen dem Vater beim Regieren zu und vertrieben sich die Zeit mit Spaß und Spiel, Jagd und Tanz, Stickerei und Musik.

Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als die Meute vor ihren Augen den Bau des Dachses ausmachte. An den Leinen zerrend und kläffend belagerten die Hunde den Eingang. Die Jagdgesellschaft zügelte beglückt die Pferde, das Beutetier saß in der Falle.

Die jungen Herren sprangen erwartungsfroh aus den Sätteln. Jean gab dem Jagdmeister den Befehl zu graben und nahm die Armbrust vom Rücken, um sie mit Hilfe eines Hakens am Gürtel scharfzumachen. Er war so aufgeregt, dass sein mächtiger Adamsapfel auf und ab hüpfte.

Kopfschüttelnd verfolgte Jakobäa die nächsten Schritte: Nachdem das Tier nun von der Meute in den Bau getrieben worden war, setzte ein Hund hinterher, um im Erdloch durch Bellen die genaue Lage des unterirdischen Verstecks zu offenbaren. Die Jägermeister mussten nach Gehör den Dachs zu Tage schaufeln. Meist gelang dem Tier dabei die Flucht, weshalb die Jäger mit gezückten Armbrüsten auf der Lauer lagen.

Doch zunächst kam das Graben eines Lochs, wie bei einem Bauer auf dem Acker. Für Jakobäa war es keine besonders höfische Form der Jagd. Noch dazu war es nicht die richtige Jahreszeit. Der Dachs war in Winterruhe und kam nur selten aus seinem Bau hervor. Das hatte Jean jedoch nicht davon abgehalten, es trotzdem zu probieren.

Sie beschloss, sich nicht die Mühe zu machen abzusteigen. Das Kleid schränkte sie zu sehr ein und sie hätte Hilfe benötigt, um aus dem Sattel zu kommen. Abgesehen davon lag ihr nichts daran, einen Bolzen auf einen flüchtenden Dachs abzuschießen, der vielleicht noch dazu durch ein Netz behindert wurde.

Ihr Vater lenkte sein Pferd an ihre Seite. Er stieg ebenfalls nicht ab. Graf Wilhelm war ein stattlicher Mann, dessen Leibesfülle erst mit dem Alter angewachsen war. Seine Statur war kurz und stämmig wie die seiner geliebten Jagdhunde. Landauf, landab erzählte man sich von den vielen ritterlichen Abenteuern, die der feurige Graf in seiner Jugend bestanden hatte. Bis an den englischen Hof war er damals gekommen, wo er als Zeichen der Verbundenheit mit König Henry Empfänger des prestigeträchtigen Hosenbandordens geworden war. 

Er folgte dem kühlen Blick seiner Tochter, der am schmächtigen Rücken des Schwiegersohns hängengeblieben war. »Dein lieber Gatte hat mal wieder nur Augen für den Dachs.« Er sagte dies auf Bairisch, der Sprache ihrer Wittelsbacher Vorväter, die vor langer Zeit aus Süddeutschland in die niederen Lande gekommen waren. Es war ihre Geheimsprache, die nur sie beide verstanden.

»Ich kann ihn schon verstehen«, erwiderte Jakobäa.

»Warum sagst du das, Tochter?«, fragte er aufrichtig überrascht.

»Ach, schau mich doch nur an, papa! Ich bin eine wahre Vogelscheuche! Dieses Kinn … und dann die lange Nase!«

Vergnügt strich sich der Graf über den vollen, dichten Bart. »Da kannst du dich bei der Burgunderseite der Familie bedanken, bei deiner Frau Mutter. Von der hast du diesen Zinken. Meine Nase ähnelt eher einer dicken Rübe.« Er grunzte, als ihm offenbar ein lustiger Gedanke kam. »Sei doch froh! Wenigstens wirst du niemals in die Verlegenheit kommen, jemanden nicht riechen zu können!«

Jakobäa verzog den Mund und warf ihm einen grantigen Blick zu. »Jetzt ziehst du mich auf!«

»Das würde ich mir niemals herausnehmen, liebe Tochter.«

Schweigend beobachteten sie, wie der französische Prinz, mit dem man Jakobäa verheiratet hatte, die Armbrust auf das Loch richtete, das der Jägermeister zu graben begonnen hatte.

Plötzlich seufzte Jakobäa auf. »Ach, papa! Nie macht Jean mir den Hof. Ich bin ihm völlig gleichgültig.«

»Du machst es ihm nicht gerade einfach, wenn ich das so sagen darf.«

»Vielleicht, weil er ständig beim Tanzen über seine eigenen Beine stolpert«, erwiderte sie bitter.

»Du solltest ihn nicht immer so mit deinen Blicken abstrafen. Du musst ihn in seiner Männlichkeit bestätigen. Männer mögen es, wenn man ihnen um den Bart streicht.«

»Wenn sie denn einen Bart haben.«

»Das ist wahr«, stimmte Wilhelm schmunzelnd zu. »Doch lass dir gesagt sein: Wenn du dich nicht vorsiehst, wirst du noch eine Gret Sauermaul. Und kein Mann möchte eine Gret Sauermaul im Haus haben.«

»Wer war Gret Sauermaul?«

»Gret war ein zänkisches Weib, das sich immerzu mit ihrem Gatten gestritten hat. Sie war so kratzbürstig, dass sie selbst der Teufel nicht bei sich haben wollte.«

»Er hat sie der Hölle verwiesen?«

»Stimmt genau! Sie war keine Dame. Sogar Rüstung soll sie getragen haben, wie ein Mann.«

»Mir scheint, Gret Sauermaul wusste genau, was sie zu tun hatte. Sonst wäre sie jetzt in der Hölle.«

Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Meine liebe Jakobäa …«, sagte er wohlwollend.

Der Jägermeister machte mit der Schaufel kaum Fortschritte, während sich die winterliche Dämmerung immer drückender über die Wälder legte und die Schatten zusehends schwärzer wurden. Voller Ungeduld entwendete Jean ihm das Werkzeug, um eigenhändig nach dem Dachs zu graben. Seine Freunde feuerten ihn über das Bellen der Hunde hinweg lautstark an. François hielt ein Hohlnetz wurfbereit in der Hand für den Moment, da der Dachs aus dem Bau schießen würde.

Jakobäa starrte mit blindem Blick auf die Szene, doch nun war es zu viel. Sie konnte das, was ihr auf der Seele lag, nicht länger für sich behalten. Sie musste ihr schweres Herz erleichtern, und ihr Vater hatte schon immer mehr als die Mutter ein offenes Ohr für ihre Sorgen gehabt. »Jean ist mir wie ein großer Bruder!«, platzte es aus ihr heraus.

Das Funkeln in den Augen ihres Vaters erlosch. »Und das ist gut so, Jakobäa«, sagte er ernst. »Wir wollen, dass du an seiner Seite sicher bist. Bei Jean brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Er wird dir ein guter Gefährte sein, wenn ich eines Tages mal nicht mehr bin.«

»Aber du bist jung und gesund, papa! Ich verstehe die Eile nicht. Die Hochzeit hätte doch auch viel später stattfinden können.«

»Du magst recht haben, Kind, doch man weiß nie, was das Leben als Nächstes bringt. Du bist mein einziges Kind mit der Gräfin, das macht dich zu meiner Erbin. Doch bedenke, Frauen können den Grafentitel nicht erben, zumindest nicht in Holland. Im Hennegau sieht es anders aus, da wird man dir, ohne zu zögern, huldigen. Aber nicht in Holland, nicht in Friesland und auch nicht in Zeeland. Deshalb brauchen wir Jean. Du wirst die vier Grafschaften erben, und du wirst ihn zu deinem Vogt machen und durch ihn regieren.«

»Man huldigt also lieber einem zugezogenen Prinzen aus Frankreich als der legitimen Tochter des Grafen. Nur, weil sie ein Mädchen ist.«

»Nichts ist gerecht im Leben. Besonders nicht für Frauen.«

Sie grübelte darüber nach. »Wenn ich die Grafschaften nicht durch Jean bekäme, dann würden sie meinem Onkel Johann zufallen, nicht wahr?«

Der Gesichtsausdruck ihres Vaters wurde auf einmal verschlossen. »Ja, dann würde der Kaiser wohl das Lehen an meinen Bruder weiterreichen. Er ist mein nächster männlicher Verwandter.«

»Obwohl er der Bischof von Lüttich ist?«

»Er hat die vollen Weihen nie erhalten. Er sträubt sich seit Jahren. Es ist die weltliche Macht, die ihm zusagt, nicht die kirchliche Laufbahn.«

Jakobäa konnte ihren Onkel Johann nicht gut leiden. Hinter vorgehaltener Hand nannte man ihn bei Hof Johann Ohnegnade. Seine politische Linie als Bischof war hart und autoritär. Seinen wenig rühmlichen Namen hatte er erlangt, als er nach der Niederschlagung eines Aufstands in Lüttich nicht nur Männer, sondern auch Witwen und Kinder von den Brücken in die Maas hatte stoßen lassen. Er hatte hunderte Geiseln gemacht, viele waren mitten auf der Straße enthauptet worden. Einen Kommandanten hatte man auf dem Markt lebendig gevierteilt. Seine Offiziere hatten im Anschluss die blutigen Stücke bis vor die Stadt auf den Richtplatz getragen, wo man sie zu allem Überfluss symbolisch gerädert hatte.

»Ich kann nachvollziehen, dass wir das verhindern wollen«, räumte Jakobäa ein, »aber warum musste es unbedingt Jean sein? Versteh mich nicht falsch, ich mag ihn sehr. Doch warum durfte ich nicht jemand anderes heiraten? Vielleicht einen deiner Ritter?«

Der Graf gluckste vergnügt. »Glaub mir, mein Kind, ich habe damals überall in Holland rumgefragt, doch von denen wollte keiner. Sie fürchten sich vor einer Frau, die ihnen beim Zweikampf mit dem Schwert das Wasser reichen kann.« Er gluckste über seinen eigenen Scherz.

»Ich meine es ernst, Vater.«

Er rang um Fassung und fragte mit einem Räuspern: »Wer wäre dir denn lieber gewesen?«

Arkel, dachte sie sogleich. Willem van Arkel.

Obwohl ihr diese Antwort auf den Lippen lag, zuckte sie mit den Schultern.

Wilhelm schaute sich um. Sein Blick blieb an einem etwa gleichaltrigen Ritter aus seinem Gefolge hängen, der auf der anderen Seite des Kreises dem Geschehen in der Mitte zusah. »Vielleicht mein guter Freund Montfort?«, fragte er neugierig.

Montfort schaute auf, so als hätte er seinen Namen vernommen. Der Graf winkte ihn zu sich heran. Der Ritter wendete sein Pferd, um sich zu Vater und Tochter zu gesellen.

»Nein, papa.«

»Brederode?«

»Den auch nicht. Der ist viel zu alt!«

»Etwa Wassenaar?«

Das Interesse ihres Vaters an ihren Herzenswünschen brachte ihre bröckligen Wehrmauern zum Einsturz. »Ach, papa! Willem van Arkel – den hätte ich gern genommen! Er ist sehr klug und alle sagen, er sei schnell mit dem Schwert.«

Der Graf sah sie verdutzt an, dann brach er in dröhnendes Gelächter aus, sodass sich alle zu ihnen umdrehten und sogar Jean kurz beim Schaufeln innehielt. »Du hättest lieber einen verfluchten Kabeljau geheiratet?«, raunte er.

»Wäre das so verkehrt?«

»Niemals hätte ich dich einem Kabeljau zur Frau gegeben! Nie im Leben! Oder was denkst du, Montfort?«

Der Ritter zügelte neben dem Grafen sein Pferd und verneigte sich mit Hand auf der Brust. »Die Kabeljaus sind genau da, wo sie hingehören, Madame, in der Verbannung. Es besteht kein Anlass, ihnen Tür und Tor zu Holland zu öffnen, wo sie nichts als Tod und Verderben übers Land bringen.«

»Die Kabeljaus sind unsere Feinde, Jakobäa«, fügte ihr Vater hinzu, obwohl Jakobäa das natürlich längst wusste. Er machte eine weit ausschweifende Bewegung mit dem Arm, die die gesamte Jagdgesellschaft umfasste. »Schau dich um, mein Kind!«

Ihr Blick folgte seiner Geste. Viele der Jäger trugen auch an diesem Tag die typischen roten Hüte, die die Verbundenheit mit dem Grafenhaus signalisierten.

»Jeder, den du hier siehst, zählt zu der Partei der Hoeks. Sie halten die Macht in diesem Land fest in ihrer Hand und sind unserer Familie treu ergeben. Wenn es hart auf hart kommt, werden sie für uns durchs Feuer gehen. Diese Männer haben mich gestützt, selbst, als ich gegen meinen eigenen Vater rebelliert habe. Und wenn die Zeit gekommen ist, werden sie auch dich stützen, in Gut und Blut. Dafür werde ich Sorge tragen.«

Jakobäa stellte überrascht fest, dass ihr bei den Worten des Vaters das Blut in den Ohren zu rauschen begonnen hatte. Die kurze flammende Rede hatte sie mehr verunsichert als beruhigt. Sie hatte sich immer sicher gefühlt in Quesnoy, das so lieblich eingebettet lag in den sanften, bewaldeten Hügeln des Hennegaus. Die Konflikte in Holland waren weit entfernt. Sie musste sich doch gewiss vor nichts fürchten? Ihr zweifelnder Blick wanderte vom Vater zu seinem treuesten Ritter.

Montfort nickte ernst. »Euer Vater hat recht. Wir, die Hoeks, werden Euch nicht im Stich lassen, Madame, ganz gleich, was auch geschieht.«

»Danke, Montfort. Ich weiß das sehr zu schätzen«, gab sie mechanisch zurück, doch das mulmige Gefühl in ihrer Magengegend blieb.

Der Ritter deutete mit dem Kinn auf Jean, der vom Graben ins Schwitzen gekommen war und nun seinem Diener den kurzen Umhang reichte. »Euer werter Gemahl mag zwar nicht der Mann Eurer Träume sein, aber das bedeutet nicht, dass Ihr nicht auch mit Prinz Jean das Leben genießen könnt. Ihr müsst ihm mehr den Anschein geben, dass Ihr angetan von ihm seid. Dann stellt sich die Leidenschaft von ganz alleine ein.«

»Unmöglich. Ich kann mich nicht verstellen.«

»Das braucht Ihr auch gar nicht. Vielmehr solltet Ihr Eure Fantasie spielen lassen. Schließt einfach die Augen und stellt Euch vor …«

»Ja?«, fragte Jakobäa.

»Stellt Euch einen Bären vor …«

»Einen Bären?«

Montfort grinste verschmitzt und wechselte einen Blick mit dem Grafen, der unmerklich nickte. »Oder sollte ich sagen, einen Kabeljau?«

Jakobäa wurde tiefrot.

Wilhelm prustete los. »Montfort!«, rief er mit gespielter Empörung. »Ihr könnt das arme Kind doch nicht so durcheinanderbringen!«

Der Ritter fiel in sein Lachen mit ein. Er wusste, was er sich herausnehmen durfte und was nicht. Als bester Freund des Grafen und sein Hofmarschall war das ziemlich viel. Trotzdem brachte er eine ehrlich klingende Entschuldigung hervor. »Verzeiht, Madame. Ist mir so rausgerutscht.«

Sie warf Montfort einen rügenden Blick zu, dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren Gatten, der mit Begeisterung die Schaufel schwang und dicke Erdklumpen über die Schulter warf. Auch wenn sie Jean nicht begehrte, so musste sie dennoch zugeben, dass ihre Eltern eine weise Wahl für sie getroffen hatten. Jean war zwar linkisch und kein Mann der Waffe, doch hinter seiner hohen Stirn verbarg sich ein scharfer Verstand. Er war äußerst umgänglich und wusste, auf Leute zuzugehen und sie für sich zu gewinnen. Die Hoeks jedenfalls mochten ihn, und das war wohl das Wichtigste. Wenn eines Tages der Moment gekommen war, da Jakobäas Vater das Zeitliche segnete, würde er ein guter Vogt ihrer Ländereien sein, ein gewitzter Berater und ein Mann, dem selbst die gemäßigten Hoeks folgen würden.

Sie seufzte auf. Zum Glück brauchte sie sich über diese ferne Zukunft noch keine Sorgen zu machen. Ihr Vater strotzte nur so vor Lebenskraft und Tatendrang. Er war jung und gesund. Es würde viele Jahre dauern, bis Jakobäa ihn beerben würde.

Einige Schritte entfernt kam auf einmal großes Geschrei auf. Etwas tat sich beim Dachsbau. Die Meute zerrte aufgebracht an den Leinen der Hundeführer und bleckte die scharfen Zähne.

Mit einem Ächzen stieß Jean ein letztes Mal die Schaufel in die Erde. »Gleich hab ich ihn! Macht euch bereit!«

Seine Freunde setzten die Armbrüste an und zielten auf das Loch. In diesem Moment schoss der Dachs aus seinem aufgebrochenen Bau. Pfeilschnell hielt er direkt auf Jakobäa zu.

Als der Dachs so unerwartet vor den Hufen ihres Pferdes auftauchte, stieg das Tier auf die Hinterbeine, und sie drohte, nach hinten hinunterzupurzeln. Im letzten Moment klammerte sie sich an den Sattel, um den Halt nicht zu verlieren. Alle Kraft musste sie aufwenden, um das Reittier unter Kontrolle zu bringen. Auch Montfort hatte mit einem erschrockenen Pferd zu kämpfen.

Die Lage war ungünstig für die Jäger. Der Dachs flitzte genau zwischen den Hufen der Pferde hindurch. Es gab keine Möglichkeit zum Abschuss, ohne dabei die Reiter unnötig zu gefährden. Antoine, schon immer ein Draufgänger, wagte dennoch als Einziger einen Schuss.

Jean bemerkte es im letzten Moment. »Antoine, nicht!«, rief er – zu spät.

Die Sehne schnellte zurück und der Bolzen zischte durch die Luft.

Glücklicherweise war Antoine ein schlechter Schütze. Das Geschoss schlitterte zu Boden, und der Dachs entwischte an den fliegenden Hufen vorbei auf Nimmerwiedersehen im Unterholz.

Jean warf die Schaufel von sich und stapfte zurück zu seinem Gaul. »So ein Mist! Antoine, du bist auf beiden Augen blind.«

Der Gescholtene rieb sich verschämt den Nacken. Er war in der Tat ziemlich kurzsichtig. »Tut mir leid, Jean.«

Jakobäa hatte ihr Tier wieder unter Kontrolle gebracht. Erbost rief sie Jeans Namen.

Jener hielt beim Aufsteigen inne und schaute über die Schulter zurück.

»Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?«, schimpfte sie. »Dein Freund hätte auch meine Stute treffen können. Oder schlimmer noch, er hätte mich treffen können!«

Jean nahm seufzend den Fuß wieder aus dem Steigbügel und wandte sich Antoine zu. »Du hast meine Gattin gehört, Antoine. Entschuldige dich bei ihr für dein törichtes Benehmen.«

Antoine rollte mit den Augen. Er deutete eine zerknirschte Verneigung an. »Verzeiht, Madame. Ich werde in Zukunft vorsichtiger sein.«

Jakobäa sah ihn wutentbrannt an, doch mehr konnte sie nicht von ihm verlangen. Sie nickte ihm zu als Zeichen, dass seine Bitte um Verzeihung angenommen war.

Während beide, Jean und Antoine, wieder aufsaßen, rief François: »Da sieht man sofort, wer bei euch in der Ehe die Hosen anhat, Jean!«

Die anderen lachten.

»Sie hat in der Tat Haare auf den Zähnen«, raunte Nicolás laut genug, dass auch Jakobäa es hören konnte.

Die Herren schulterten ihre Armbrüste, der Jägermeister sammelte die Schaufel ein, und vereint machte man sich auf den Weg in die Richtung, in die der Dachs verschwunden war. Die Meute nahm schnüffelnd die Fährte auf.

Jakobäa zögerte nicht. Sie schnalzte mit der Zunge und riss an den Zügeln den Kopf des Pferdes herum, um es zu wenden. »Kommt, Montfort, wir müssen weiter.«

»Aber, Madame, sollten wir nicht lieber nach Hause aufbrechen? Das Licht schwindet.«

»Mein Gemahl will diesen Dachs unbedingt haben, also soll er ihn auch bekommen.«

»Das halte ich nicht für klug. Was, wenn ein Pferd in der Dunkelheit falsch auftritt? Wir sollten ein andermal weitermachen.«

»Es wird schon nichts passieren, Ihr alter Angsthase.«

»Manchmal ist es klüger, aufzugeben, bevor ein Unheil geschieht. Denkt an das warme Feuer in der Halle, Madame, und wie schön es wäre, sich dort mit einem Becher Würzwein auszustrecken!«

»Und worauf können wir dann heute Abend stolz sein, Montfort? Also, mir würde der Würzwein nicht schmecken, da kann das Feuer noch so warm sein. Nein, ohne den Dachs als krönenden Abschluss unseres Abendmahls können wir uns heute wohl kaum auf unseren Lorbeeren ausruhen.«

Ihr Vater wendete ebenfalls sein Pferd und fiel hinter ihr ein. »Sie hat recht, Montfort. Wir können unmöglich ohne Beute nach Hause gehen. Den ganzen Tag im Sattel und am Ende nichts vorzuweisen? Das können wir nicht zulassen.«

Montfort sah ihnen zweifelnd hinterher, dann drückte er seine Hacken in die Flanken. »Nun gut.«

Sie waren keine Meile weit gekommen, da vernahmen sie vom Weg her das Schnauben eines Pferdes.

»Haltet ein!«, rief eine Stimme. »Nicht schießen!«

Ein Reiter erschien auf der Lichtung, ein holländischer Ritter namens Merwede. Es war mittlerweile so dunkel, dass er es offenbar für angemessen befunden hatte, die Jagdgesellschaft mit Laterne in der Hand ausfindig zu machen.

Er rutschte aus dem Sattel, legte die letzten Schritte zu Fuß zurück und fiel auf dem feuchten Waldboden vor Jean auf ein Knie. Erst dann bemerkte er im Augenwinkel den Grafen, den er mit einem Kopfnicken zur Kenntnis nahm. »Ein Eilbote ist eingetroffen«, sagte er in seiner typisch knappen Art. »Ihr werdet ohne Verzögerung im Schloss erwartet.«

Jean sah von oben auf ihn herab. Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab, so als erahne er das Unheil, das in diesem Moment über sie alle hereinbrach. »Warum die Aufregung? Ist etwas passiert?«

Merwede schaute auf. Die Augen, in denen sich das flackernde Laternenlicht spiegelte, waren voller Sorge. »Dringende Nachricht aus Paris. Euer Bruder Louis …« Er seufzte auf und warf dem Grafen einen gequälten Blick zu, bevor er mit gesenktem Kopf fortfuhr. »Es tut mir leid, dass Ihr es von mir erfahren müsst, mein Prinz. Der Dauphin ist tot.«

Der Kampf einer unbeugsamen Frau

Der Schwur der Gräfin

Anfang des 15. Jahrhunderts wütet in Holland ein blutiger Bürgerkrieg. Jakobäa, das einzige Kind des verstorbenen Grafen, bangt um ihr Erbe. Nur mit einer Heirat kann sie als Frau ihren Anspruch durchsetzen.

Als ihr erster Gatte ermordet wird und der zweite sich als unfähig herausstellt, beschließt sie, auf eigene Faust Verbündete zu suchen.

Am Hof in London scheint ihre Mission von Erfolg gekrönt. Was sie nicht ahnt: Fataler noch als jede Schlacht ist ein Mann, der es vermag, ihr Herz zu erobern ...

Eine mitreißende Geschichte über die Wittelsbacherin Jakobäa von Bayern-Holland am Rande des Hundertjährigen Krieges.

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