Was zum Kuckuck ist denn hier passiert?
Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich Ken Folletts Bücher liebe. Ich bewundere seine simple und teilweise auch grobklotzige Art, die Dinge in Worte zu fassen. Wo ich mich als Autorin bemühe, die Gefühlswelt meiner Figuren durch „Show Don’t Tell“ dem geneigten Leser nahezubringen (Herzflattern, Schweißausbrüche, Stottern …), heißt es bei Follett für gewöhnlich einfach: „… sagte sie aufgeregt.“ Damit ist dann alles gesagt, und es kann in der Geschichte weitergehen. Meistens (nicht immer, aber meistens) fällt das gar nicht weiter unangenehm auf, es ist klar, es ist leicht zu verstehen, man kann beim Lesen schon mal stellenweise eine Gehirnhälfte ausschalten und trotzdem der Geschichte folgen.
Nicht so bei Folletts neuestem Roman „Stonehenge – Die Kathedrale der Zeit“ (Original: Circle of Days). Kein Mittelalterepos (wie ich jetzt schon mehrfach im Internet lesen durfte), sondern ein Roman, der ca. 2.500 Jahre vor unserer Zeitrechnung in Südengland spielt.
Jedes Kind kennt natürlich Stonehenge: Das sind diese großen Steine, die kreisrund zur Zeit der Pyramiden von einem oder mehreren Völkern in vielen Phasen und über einen längeren Zeitraum für rituelle Zwecke aufgestellt wurden. Der Ort ist magisch (wie ich mich selbst überzeugen durfte), und er gibt nicht nur modernen Besuchern, sondern auch der Wissenschaft zahlreiche Rätsel auf. Deshalb war ich gespannt, was man mittlerweile so herausgefunden hatte, und wie ein profilierter Autor wie Follett das Ganze zu einem historischen Roman verarbeitet.
Tja. Das hatte ich gehofft. Wurde ich enttäuscht? Ja. Follett ist der Meister des Simplizismus, aber das hier war selbst mir zu simpel. Fangen wir an mit der Weltengestaltung: Rund um Stonehenge leben drei große Völker: die Viehhirten, die Bauern und die Waldbewohner. Jedes dieser Völker hat ein wenig eine andere Lebensweise: Bei den Bauern zum Beispiel haben die Männer das Sagen. Die Wäldler müssen nicht so viel schuften, denn sie bedienen sich an den Früchten des Waldes. Und die Viehhirten … Ich glaube, die lebten in Polygamie oder so. Jedenfalls, die hierarchischen Strukturen sind äußerst flach, das Wetter nie ein Problem, die Leute entweder gut oder böse, die Konflikte vorherbestimmt (wer Folletts Bücher kennt, wird kaum überrascht werden).
Stonehenge, so erfahren wir in diesem Roman, existiert bereits, aber als Holzstruktur. Als diese in einem Akt von Vandalismus niederbrennt, bestimmen die Priesterinnen, die sich um das Monument kümmern, dass Ersatz hermuss, und zwar ein Ersatz, den man nicht niederbrennen kann – aus Stein. So weit, so gut.
Natürlich kommen jetzt Fragen auf. Woher soll der Stein kommen, wie soll man ihn transportieren, und wie soll man diese Felsenriesen nicht nur aufstellen, sondern auch stapeln? Kein Problem, nach Follett. Für jede dieser Hürden gibt es eine Lösung, die in Windeseile gefunden wird. Die Steine liegen praktisch vor der Haustür, die erste Theorie, wie sie bewegt werden, klappt fast sofort einwandfrei, die Steine wechseln in Rekordzeit und unter Aufwendung enormer menschlicher Kräfte den Ort.
Das alles geht viel zu reibungslos und glatt. Ja, es gibt Krieg, ja, Figuren sterben, aber das Monumentale dieser menschlichen Anstrengung kommt beim Lesen nicht rüber. Keiner fragt sich, woher das Monument und das dazugehörige Wissen kommt: Es gibt keine Beziehungen zu anderen Monumenten (man denke an die Orkneys), kein Austausch mit anderen Völkern, die ähnliche Bauwerke errichteten.
Gleiches fehlte mir generell bei den Erklärungen zum Ort Stonehenge. Follett hat versucht, so etwas wie Religion dazu zu erfinden (durch simple Märchen von reisenden Geschichtenerzählern vermittelt), aber eigentlich sind die Steine nur ein massiver Kalender und die Priesterinnen die großen Mathematikerinnen ihrer Zeit, die den Leuten helfen, zu verstehen, wann ausgesät und wann gejagt wird. Das ist alles. Aber das kann nicht alles sein. Mir fehlt da was. Mir fehlt das Mysterium, die Ehrfurcht, das Göttliche, das diese Menschen an diesem Ort empfunden haben müssen. Folletts Version kommt mir viel zu aufgeklärt daher.
Apropos aufgeklärt: Wenn es um Sex geht, ist auf jeden Fall alles sehr aufgeklärt. Da darf man beim Lesen nicht zusammenzucken. Sexorgien zu zweit oder mehreren gehören zu den Sommersonnenwenden zweifellos dazu und sind dringend benötigt, um den Gen-Pool aufzustocken. Gleichgeschlechtliche Liebe ist kein Sonderfall, sondern die Norm (die Priesterinnen machen es vor), solange man es nicht mit Kindern probiert (Disclaimer: Ich habe überhaupt nichts gegen gleichgeschlechtliche Liebe und bin froh, dass wir mittlerweile als Gesellschaft ein wenig aufgeschlossener reagieren auf das Thema, aber bei einem Autor wie Follett drängt sich mir immer der Verdacht auf, dass er das in die Geschichte aufnimmt, weil er jüngere Leser ansprechen will, quasi wie ein marketingtechnischer Nachgedanke). Wer schwanger wird, na, der bekommt eben ein Baby. No Drama.
Es gibt keine gesellschaftlichen Konfliktpotenziale, nichts Zwischenmenschliches, das einen bewegt; einzig die Geschichte um Han und Pia hat mir beim Lesen etwas abverlangt. Alle anderen Figuren (deren Namen übrigens in ihrer Einsilbigkeit beinahe lachhaft wirken und linguistisch überhaupt nicht durchdacht sind) ließen mich kalt.
Am Ende bin ich wohl die Einzige, die unbefriedigt zurückbleibt (die Figuren schienen alle sehr befriedigt, auf mannigfache Weise). Die Geschichte ist so flach wie ihre Figuren. Schade, echt schade. „Stonehenge“ hatte so viel Potenzial, aber hier drängt sich bei mir der Verdacht auf, dass jemand Follett gedrängt hat, das Thema in Angriff zu nehmen, aber er nicht wirklich Lust darauf hatte. Ein Glück, dass ich nicht die 36 Euro bezahlt habe, die der deutsche Verlag für das Hardcover verlangt. Schon die 15 Euro für das englische eBook waren eigentlich zu viel.
Titel: Stonehenge – Die Kathedrale der Zeit (Circle of Days)
Autor: Ken Follett
Übersetzer: Rainer Schumacher und Dietmar Schmidt
Verlag: Lübbe 2025














