Buchbesprechung: Weg in die Wildnis

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Western sind ja eigentlich ziemlich uncool. Ich erinnere mich noch, wie gern mein Vater sie damals geschaut hat: die Filme mit Clint Eastwood, die Spaghetti-Western, überhaupt alles, was mit harten Kerlen und anarchischen Duellen vor staubiger Wüstenkulisse zu tun hatte. In den 90ern brachte Der mit dem Wolf tanzt das Genre noch einmal kurz ins Rampenlicht, später vielleicht auch noch True Grit (2010 in der Neuverfilmung durch die Coen-Brüder). Aber eigentlich ist dieser Teil der Film- und Fernsehgeschichte längst ein Sammelsurium aus gängigen Klischees. Auf dem Buchmarkt sieht es sogar noch düsterer aus.

Ich für meinen Teil habe mich bisher kaum mit Western beschäftigt – und das, obwohl ich mich sonst sehr für Geschichte interessiere. Denn wenn man die Cowboys, Outlaws und „Indianer“-Stereotype beiseiteschiebt, dann bleibt ja genau das: ein Stück amerikanischer Pioniergeschichte. Nun kann man davon halten, was man will, aber die Landnahme des „Wilden Westens“ war für die weißen Siedler im späten 19. Jahrhundert alles andere als einfach.

Ein Roman, der diese Zeit in epischer Breite einfängt, ist der mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Weg in die Wildnis (Originaltitel: Lonesome Dove) von Larry McMurtry. Das Buch gilt als einer der bekanntesten und besten Western-Romane überhaupt. Es umfasst je nach Ausgabe rund 900 Seiten und wurde 1989 als mehrteilige TV-Miniserie mit Robert Duvall und Tommy Lee Jones verfilmt – alles ist mir bisher entgangen. Wie schade! Denn die Geschichte ist so viel mehr als nur ein Western. Sie ist ein monumentales Epos, das einen tiefen Einblick in die Zeit der Viehtrails und in die harte Realität der Besiedelung des nordamerikanischen Kontinents gewährt.

Worum geht es? Die beiden ehemaligen Texas Rangers Gus McCrae und Captain Woodrow F. Call betreiben in der kleinen Grenzstadt Lonesome Dove am Rio Grande eine bescheidene Rinderzucht – mit durchaus zweifelhaften Methoden, denn ihr Vieh stammt nicht selten aus Mexiko. Doch das Leben ist eintönig geworden. Texas ist nicht länger das wilde Pionierland, das sie einst von Banditen und feindlichen Stämmen freikämpfen mussten. Da taucht eines Tages ihr alter Freund Jake Spoon auf, der vor dem Gesetz flieht. Er bringt die Männer auf eine waghalsige Idee: eine Herde Rinder von Texas bis nach Montana zu treiben – ins „letzte freie Land“ des Nordens, wo noch unendliche Weiden warten sollen.

Sie sammeln Cowboys und Rinder, machen sich auf den langen Weg. Jake Spoon zieht in gewisser Distanz hinterher und nimmt die Prostituierte Lorena mit, die bald eine zentrale Rolle in der Handlung einnimmt. Vor den Männern liegen tausende Meilen gefährliches Terrain, bevölkert von Klapperschlangen, Banditen und kriegerischen Stämmen – eine Reise voller Entbehrungen, Versuchungen und tödlicher Gefahren.

Die Geschichte ist ein Slow Burner. McMurtry nimmt sich Zeit, seine Welt und die vielen Figuren einzuführen. Doch sobald man eingetaucht ist, kann man das Buch kaum noch aus der Hand legen. Es lebt von den Beziehungen zwischen den Charakteren: dem geschwätzigen Gus, der mit Witz und Charme alle in den Wahnsinn treibt; dem schweigsamen, pflichtbewussten Captain Call; der mutigen, verletzlichen Lorena; dem unsicheren Jungen Newt; und den abergläubischen, ungebildeten Cowboys. Über allem schwebt die ständige Gefahr: Ein Moment der Unachtsamkeit, und es kann das Leben kosten. Gerade gegen Ende rast man durch die Seiten, weil man wissen will, wer überlebt – und wer nicht (Spoiler: Es erwischt einige).

Nicht nur wegen seines Umfangs, sondern vor allem wegen der fein gezeichneten Figuren, der historischen Tiefe und der bildgewaltigen Landschaftsschilderungen ist dieses Buch ein absolutes Muss für alle, die einmal tiefer in die Geschichte des amerikanischen Westens eintauchen wollen. Ich werde noch lange an diese großartige Erzählung zurückdenken.

Titel: Weg in die Wildnis (Lonesome Dove)
Autor: Larry McMurtry
Übersetzung: Hans-Ulrich Möhring
Verlag: Goldmann, 1987 (mehrere spätere Ausgaben, zuletzt bei Fischer Taschenbuch erhältlich)
Originalausgabe: 1985

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