Buchbesprechung: Der dreizehnte Monat

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Verwechselte Autoren, echte Geschichten

Eins vorweg: David Mitchell ist ein ziemlich häufiger Name. Und so war ich nicht wenig erstaunt, als ich – auf Empfehlung eines Autorenkollegen – ein Buch von ihm zu lesen begann, das sich als viel lustiger und amüsanter entpuppte, als der Kollege es angekündigt hatte. Erst beim zweiten Buch, das ich mir gleich mitbestellt hatte, wurde mir klar: Moment mal – das kann doch gar nicht derselbe Autor sein.

Und tatsächlich: David Mitchell, der britische Comedian und Autor von Unruly (siehe Besprechung hier), ist nicht zu verwechseln mit David Mitchell, dem mehrfach für den Booker Prize nominierten Romanautor, dessen Werke wie Der Wolkenatlas (im Original: Cloud Atlas) weltweit gefeiert und sogar verfilmt wurden.

Mein erstes Buch dieses literarischen David Mitchell war nun also: „Der dreizehnte Monat“ (Black Swan Green im Original). Und was soll ich sagen – ich bin froh über die Empfehlung.

Wir befinden uns in der englischen Provinz, im fiktiven Dorf Black Swan Green, irgendwo in Worcestershire, im Jahr 1982. Moonraker flimmert über die Fernsehbildschirme, der Falklandkrieg beginnt, und die ältere Schwester ist drauf und dran, nach Edinburgh zum Studieren zu gehen. Im Mittelpunkt steht der dreizehnjährige Jason Taylor, der eine ganz eigene Hürde zu bewältigen hat: Er stottert.

In der gnadenlosen Hackordnung seiner Schulklasse ist das ein Problem – eines, das er mit größter Anstrengung zu verbergen versucht. Gleichzeitig schreibt er heimlich Gedichte, was in seiner Welt etwa gleichbedeutend ist mit „Schwulsein“, also „sozialem Selbstmord“. Der Druck, nicht aufzufallen, nicht anzuecken, nicht aus der Rolle zu fallen, ist enorm. Und während Jason versucht, sich über Wasser zu halten, beginnt seine Familie leise, aber unaufhaltsam zu zerfallen. Für ihn kaum greifbar, für uns Leserinnen und Leser aber umso deutlicher spürbar.

Was mich besonders überzeugt hat, war Mitchells Gespür für Sprache und Perspektive. Jason erzählt – und zwar so, wie ein intelligenter, wacher, aber auch zutiefst verunsicherter Dreizehnjähriger eben erzählt. Mitchell gelingt es, durch diese authentische Stimme eine ganze Welt zum Leben zu erwecken. Obwohl ich mich an die frühen 1980er selbst kaum noch erinnern kann, hatte ich beim Lesen oft das Gefühl, dort gewesen zu sein. Ich kann mir vorstellen, dass Menschen, die diese Zeit bewusst erlebt haben, noch einen zusätzlichen Nostalgiebonus mitnehmen – für alle anderen ist es ein atmosphärisches Zeitporträt mit universellen Themen: Scham, Mut, Zugehörigkeit, Familie.

Neben Jason begegnen wir einer Reihe skurriler, aber glaubwürdiger Nebenfiguren: einer alten Dame, die allein in einem verwilderten Cottage lebt (und mehr zu wissen scheint, als sie zugibt), den „Zigeunern“, die am Dorfrand kampieren (ein Begriff, den Mitchell bewusst aus kindlicher Sicht verwendet und zugleich kritisch bricht), oder einer geheimnisvollen belgischen Migrantin, die Jason auf überraschende Weise näherkommt.

Mitchells „Der dreizehnte Monat“ ist kein Buch der großen Überraschungen, aber eins der feinen Zwischentöne. Es lebt von Atmosphäre, Figurenzeichnung und einer tief empfundenen Ehrlichkeit. Vielleicht hat mir der ganz persönliche Funke gefehlt, das eine Detail, das mich nicht mehr loslässt. Aber als Coming-of-Age-Roman funktioniert dieses Buch hervorragend – und bleibt auch nach dem letzten Kapitel im Kopf.

Titel: Der dreizehnte Monat (Black Swan Green)
Autor: David Mitchell
Übersetzung: Volker Oldenburg
Verlag: Rowohlt Taschenbuch, 2014

P.S.: Buch selbst gekauft, und das ist meine eigene Meinung.

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