Ich bin verliebt. In einen Mann, den es eigentlich nicht gibt. Oder vielleicht gab es ihn doch. Oder vielleicht lebt er sogar noch. Hach, ich bin verwirrt.
Es geht um Graham Gore. Der Polarforscher existierte wirklich. 1847 verschwand er auf einer folgenschweren Mission auf der Suche nach der legendären Nordwestpassage – ebenso wie der Rest seiner Truppe. Doch ist das die ganze Wahrheit? Was, wenn er stattdessen entführt worden wäre?
Auftritt: Das Ministerium der Zeit. In einer nicht allzu fernen Zukunft arbeitet die britische Regierung daran, Menschen aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu holen. Aus diversen Gründen, die eigentlich nicht weiter relevant sind. Die Protagonistin von Kaliane Bradleys verrücktem, genreübergreifendem Roman arbeitet für dieses Ministerium als „Brücke“. Ihre Aufgabe: Menschen, die vor dem sicheren Tod „gerettet“ wurden, in die moderne Welt einzuführen und sie mit ihren Tücken vertraut zu machen.
Und so tritt Graham Gore in ihr Leben – viktorianisch, stoisch, aufgeschlossen, sarkastisch und ungemein charmant.
Das Buch ist weder reine Liebesgeschichte (obwohl – ich wage es kaum auszusprechen – recht viel „Spice“ enthalten ist) noch klassischer Zeitreisenroman. Historische Elemente treffen auf Humor, Science-Fiction und Action. Denn bald sehen sich die Erzählerin und Graham sehr bösen Mächten gegenüber und müssen um ihr Leben kämpfen – und um das ihrer Freunde.
Bradleys Roman hat mich gleichermaßen unterhalten wie gefesselt. Lange nicht mehr war ich so neugierig darauf, wie es weitergeht. Oft habe ich mich über eine besonders schöne Formulierung oder ein gelungenes Bild gefreut. Ab und zu schüttelte ich jedoch den Kopf, weil eine Metapher oder ein Vergleich so schräg war, dass es mich kurz aus der Geschichte riss. Unterm Strich empfand ich die Erzählung als wortgewaltig und clever konstruiert. Ja, manches mag unlogisch oder verwirrend sein – Zeitreiseroman eben, reich an Paradoxien. Aber das war mir am Ende egal, solange das Gefühl am Schluss stimmte. Auch kamen wichtige Themen zu Wort wie die Bedrohung durch den Klimawandel, Rassismus, Sexismus, Freundschaft, Verrat und so weiter.
Mehr noch: Das Bild des echten Graham Gore am Ende des Buches hat mich berührt. Viel zu oft vergessen wir, dass historische Figuren mehr waren als ihre Taten. Sie waren Menschen aus Fleisch und Blut, mit echten Gefühlen, Sehnsüchten und Hoffnungen. Bradleys Gore entspringt zwar weitgehend ihrer Fantasie, aber ja – ein Blick auf das Bild lässt einen glauben: So könnte es gewesen sein.
Ein paar Abzüge gibt es beim Handwerk: Manchmal konnte ich einem Austausch oder Dialog nicht richtig folgen, da Handlungs- und Regieanweisungen fehlten.
Insgesamt jedoch ist dies ein vielversprechendes Debüt. Das nächste Buch von Kaliane Bradley werde ich auf jeden Fall lesen, sobald es erscheint.
Titel: Das Ministerium der Zeit (Orig.: The Ministry of Time)
Autorin: Kaliane Bradley
Übersetzerin: Sophie Zeitz
Verlag: Pinguin Verlag 2025